Kaamos.


Die Polarnacht. Wunderschön, mächtig, gefährlich, kalt. In meinen Ohren schon seit langem ein Begriff, der immer wieder die Sehnsucht schürt und die Gedanken in den Norden schweifen lässt. In der finnischen Sprache gibt es dafür das poetisch klingende Wort Kaamos. 

Selbst Mittags sieht man am wolkenlosen Himmel keine Sonne. Und trotzdem kann man ihre Auswirkungen auf ganz besondere Weise beobachten. Für mehrere Stunden wird das Licht in scheinbar unglaubliche Farben getaucht. Von Blau und Lila über Violett und Rot hin zu einem Hauch von Orange spannt sich ein Farben Teppich über den Himmel, der seinesgleichen sucht. Und ein paar Stunden später dann in umgekehrter Reihenfolge.






Am Tag der Wintersonnenwende schafft es die Sonne ab etwa 67° nördlicher Breite (ungefähr auf Höhe der norwegischen Hafenstadt Bodø ein Stückchen oberhalb des Polarkreises) für einen kompletten Tag nicht über den Horizont. Die Polarnacht. Kaamos. 

Je weiter man nach Norden reist, desto länger erstreckt sich diese Zeit vor und nach der Sonnenwende. Im Finnischen Gebirge liegt Kilpisjärvi (69°). Dort verabschiedet sich die Sonne schon Anfang Dezember. Erst 40 Tage später wird sie bei klarem Himmel von einem der umliegenden Berge wieder zu sehen sein. 





Zur Zeit der Polarnacht ist in der ganzen Gegend die Tourismus Branche, genauso wie die Braunbären, im Winterschlaf. Mal abgesehen von den Wintersportgebieten. Um flexibel und trotzdem nahe am Geschehen zu sein, haben wir uns dieses mal das Wohnmobil von Jani ausgeliehen.

Natürlich gibt es da im Winter einiges zu beachten. Unterwegs braucht man einen Benzin Generator, um in der früh den Motorblock mit Strom zu versorgen. Der Kühlergrill wird mit Abdeckungen verschlossen und sobald man steht, bekommt das Wohnmobil über die große Windschutzscheibe eine Isolierdecke, um die kostbare Wärme im Auto zu halten. Geheizt wird mit Gas. Der Wassertank ist freilich geleert und das verbrauchte Wasser wird extra gesammelt, damit nichts einfriert. Und schon kann es losgehen!





Die Zeit während dem kurzen Tageslicht der Polarnacht möchten wir natürlich draußen verbringen. Dann reflektiert die kalte, weiße, endlose Wald- und Berglandschaft die malerischen Farben des Himmels. Die Sonne steht für mehrere Stunden knapp unterhalb des Horizonts und lässt uns in eine Phase der scheinbar endlosen Dämmerung eintauchen. 






Am Nordhimmel sieht man schon bald nach Mittag wieder die ersten Sterne. Jetzt heißt es nur noch ein bisschen Geduld, bis es ganz dunkel ist. Denn in der Polarnacht darf man nach den wenigen Stunden des Tageslichts nicht einfach nur ins Warme fliehen. Es gibt zu viel zu verpassen. Jetzt heißt es, die Augen offen zu halten.

Auch im Dunkeln hat die Sonne Auswirkung auf den Himmel der Polarnacht. Bei hoher Sonnenaktivität (Sonneneruptionen, koronale Massenauswürfe) treffen geladene Sonnenteilchen auf das Schutzschild unseres Planeten. Die Erdatmosphäre. Dort gibt es mit den Stickstoff und Sauerstoff Teilchen eine chemische Reaktion, die Licht aussendet. 

Anfangs ist es oft nur ein dünner farbloser Streifen am Nordhimmel. Hat man Glück, spannen sich mit der Zeit mehrere pulsierende, wabernde, leicht grüne Bänder über das komplette Firmament und zeigen ihren wunderschönen Tanz. Das Polarlicht.




Ich durfte dieses Himmelsschauspiel nun schon oft beobachten. Doch, es ist jedes Mal wieder ein erhabener und besonders emotionaler Moment. So etwas schönes und zugleich unglaublich mächtiges, und man selbst wird ganz klein und unbedeutend. 

Doch irgendwann ist auch dieses Schauspiel vorbei, der Wind und die Kälte zehren an den Kräften, und man fällt schon bald nachdem man sich aus all den Winterkleidungsschichten gekämpft hat, glücklich und zufrieden ins Bett. 





Die Polarnacht. Kein Sonnenlicht. Es ist kalt und lebensfeindlich. Und trotzdem jedes mal aufs Neue begeistert. So wunderschön sind die Farben die einen umgeben, so friedlich die dicke Schneedecke, die die sonst so raue Landschaft zudeckt und so mächtig die tanzenden Lichter, am Himmel der dunklen Nacht. 

Immer wieder zieht es uns dorthin. In die lange Nacht des Nordens. Eine Zeit des Lichts, obwohl es keines gibt. Kaamos ..






Heute lief: Johanna Kurkela - "Kuolevainen"